Der Osten_ eine westdeutsche Erfindung by Oschmann Dirk
Autor:Oschmann, Dirk [Oschmann, Dirk]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 2023-02-23T00:00:00+00:00
*2 Wie sagte Neo Rauch: »Im glücklichen Italien fällt mir nichts ein.«
5.
Der Osten des Ostens: Sachsen
Vom Osten zu reden heiÃt vor allem, vom Osten des Ostens zu reden, nämlich von Sachsen , wo sich die skizzierten Probleme in potenzierter Form darstellen. Kein anderes Bundesland hat ein vergleichbar schlechtes Image, hier ist die diskursive Festlegung auf ehemalige DDR und generell Osten am stärksten. Entsprechend wird der Osten in den Medien meist am Beispiel Sachsens vorgeführt und verächtlich gemacht, wird auf Sachsen fast ohne Unterlass eingeprügelt. Zwei Dinge spielen dabei eine wichtige Rolle: erstens die Verbindung von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus und zweitens der als besonders hässlich geltende Dialekt. Auf den ersten Punkt komme ich noch zu sprechen, den zweiten will ich kurz beleuchten. Die Verächtlichmachung des Sächsischen hat auf jeden Fall weit vor 1989 begonnen und hat im Osten wie im Westen wohl vor allem mit Walter Ulbricht und seinem mit Fistelstimme vorgetragenen Sächsisch zu tun, das Anlass zu unzähligen Witzen gegeben hat; Thomas Rosenlöcher nennt das Sächsische deshalb auch »Ulbrichtsprache«. 95 Und schon vor 1989 ist das Sächsische als die am deutlichsten im Ostteil des Landes zu verortende Sprachvarietät in der öffentlichen Wahrnehmung zum Inbegriff des gesamten Ostens »aufgestiegen«, das heiÃt zum Inbegriff des Hässlichen, Schlechten, Unfähigen und Ungebildeten, zum Inbegriff all dessen, was man nicht haben will und was man selbst nicht zu sein glaubt. Ich habe in Sachsen aufgewachsene Bekannte, die Schulungen belegt haben, um lupenreines Hochdeutsch zu erlernen, weil sie schmerzlich erfahren mussten, wegen ihres Heimatidioms unablässig diskriminiert zu werden und gesellschaftlich chancenlos zu sein. Dazu passt eine Dresdner Zeitungsannonce aus den Neunzigerjahren: »Sächsischer Dialekt in der freien Marktwirtschaft? Undenkbar! Nehmen Sie Sprechunterricht!« Thomas Rosenlöcher teilt das mit und markiert das Sächsische prägnant als »Verliererspache«. 96 Ganz auf dieser Linie habe ich meinen eigenen Kindern angedroht, ihnen das Taschengeld zu streichen, sollten sie je anfangen, Sächsisch zu sprechen. Wie schlimm aber ist es um eine Region bestellt, die nicht mehr wagt, ihre Sprache zu pflegen, weil sie Sanktionen aller Art, mehr noch die Beschädigung ihrer gesamten Existenz fürchten muss?! Was ist das für ein gesellschaftliches Klima, was für ein Land, in dem ein groÃer Teil der Menschen die eigene Muttersprache ablegen und die eigene Herkunft verleugnen muss, wenn er gesellschaftlich der Stigmatisierung entgehen möchte? Was für ein Land, in dem sich Menschen ihrer Sprache, ihrer Herkunft und ihrer Vergangenheit schämen sollen, mithin zentraler unhintergehbarer Existenzialien, was für ein Land, in welchem sie sich ausgerechnet von dem distanzieren sollen, was sie fundamental ausmacht und allererst in der Welt beheimatet?
Während etwa das Bayerische mit Gemütlichkeit assoziiert wird, das Rheinländische mit dem Fröhlichen, das Hamburgische mit dem Vornehm-Weltoffenen (schon bei Fontane), das Berlinerische mit dem Schnodderig-Pfiffigen, das Schwäbische mit dem Strebsamen, gilt das Sächsische als das Hässliche und Dumme. Da hat sich ein übles Gemisch aus Ethik, Ãsthetik und Politik zusammengebraut. Für alle anderen darf die Herkunft Heimat sein, nur für Sachsen nicht und damit auch nicht für den Osten insgesamt. Als sei die Ortlosigkeit und Unwirtlichkeit ein wünschenswerter Zustand! Die vielen individuellen Katastrophen, welche die deutsche Literatur seit dem 18.
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